Liebe Lese­rin­nen und Leser,

„Fürch­tet euch nicht!“ So sagte der Engel zu den Hirten, und das wird schon seinen Grund gehabt haben. Als Hirten waren sie gewiss nicht leicht zu erschre­cken, eher hart im Nehmen. Aber dieser helle Glanz! Das kam zu plötz­lich in dieser dunklen Nacht und blen­dete sie. Zu krass der Gegen­satz zwi­schen der gewohn­ten Dun­kel­heit und dem Glanz jetzt.

Ein krasser Gegen­satz zwi­schen Dunkel und Hell. Das ist typisch für Weih­nach­ten, auch heute. Das Fest des Frie­dens, das Fest der Liebe, das Fest der Familie. Aber es ist nicht mehr Frieden als sonst im Jahr, weder in der weiten Welt, noch in der Familie, noch im eigenen Herzen.

Die Sehn­sucht ist wohl da: Gerade heute sollte doch alles heil sein, was sonst im Argen liegt! Gerade im Glanz dieses Festes ist es beson­ders schwer zu ertra­gen, dass die Dinge nicht so sind, wie sie sein sollten. Die welt­wei­ten Nach­rich­ten an diesem Weih­nachts­fest sind wenig ermu­ti­gend. Wie viele Men­schen leiden unter Terror und Krieg, sind auf der Flucht. Wie viele unter uns sind äußer­lich oder inner­lich allein, wie viele ruhelos. Und trotz alledem wird auch dieses Jahr wieder Weih­nach­ten gefei­ert, und der Glanz des Festes tritt in einen krassen Gegen­satz zu unseren Sorgen und Ängsten.

„Fürch­tet euch nicht!“ So sagte der Engel den Hirten, und weiter: „Euch ist heute der Heiland geboren. Und ihr könnt ihn erken­nen an Stall und Krippe und Windeln.“ Stall, Krippe, Windeln? Das sind merk­wür­dige Erken­nungs­zei­chen. Sie stammen aus dem Alltag der Hirten. Im Grunde bedeu­tet das: Da, wo ihr selbst her­kommt, da hinein wird der Retter geboren. Er gibt den gött­li­chen Glanz, seine wun­der­bare Herr­lich­keit, auf und kommt mitten in eure ganz normale Umge­bung. Der Retter ist da! Sucht ihn, wo ihr sonst auch seid. Gott ist euch im Alltag nah! – Und die Hirten haben dem Engel geglaubt. Haben nicht abge­wie­gelt und gesagt: „Stall, Krippe, Alltag, da spüren wir nichts von Gott! Da brau­chen wir gar nicht erst zu suchen!“ Sondern sie haben sich auf­ge­macht und haben das Kind gefun­den, den Retter.

„Fürch­tet euch nicht!“ Wie wäre es, wenn auch zu uns heute ein Engel kommen würde? Wenn nicht nur der helle Glanz des Festes käme, sondern so ein rich­ti­ger himm­li­scher Bot­schaf­ter. Welchen Weg würde er uns zeigen, um unseren Retter zu finden? Die Hirten sollen einen Stall und Krippe suchen, die Stern­deu­ter aus dem Mor­gen­land folgten einem Stern – das war ihr Metier. Aber wo finden wir den Retter, von dem der Engel spricht? Was ist unser Metier, Ihres und meines, was bestimmt unseren Alltag, was prägt unser Leben mehr als alles andere? – Das ist eine echte Frage, über die es sich nach­zu­den­ken lohnt. – Und genau da soll also nun Gott zu finden sein? Merk­wür­dig, aber es ist doch einen Versuch wert!

Die Hirten haben sich darauf ein­ge­las­sen und sind suchen gegan­gen und haben ihren Retter gefun­den. Erklä­ren konnten sie es hin­ter­her nicht; was sie erzähl­ten, darüber wun­der­ten sich die Leute. Das ist so, wenn man Gott begeg­net. Das ist ja auch nicht „normal“. Die Hirten waren erfüllt, beglückt. Es war ihnen leicht ums Herz.  Sie haben Gott erlebt. Wer kann das schon von sich behaupten?

Und die Hirten wissen jetzt: der Gegen­satz von Hell und Dunkel ist über­brückt. Gott ist da, mitten in unserer Welt, an den merk­wür­digs­ten Orten und in uner­war­te­ten Gestal­ten. Und er wartet darauf, dass wir ihn suchen kommen. Und in der Begeg­nung mit ihm wird unser Herz ver­wan­delt, frei und leicht.

Ich wünsche es Ihnen und mir zum Weih­nachts­fest, dass wir die Bot­schaft des Engels glauben können: „Fürch­tet euch nicht!“ Dass wir Gott suchen und finden, in Jesus, in unserem Alltag, da, wo wir ihn am wenigs­ten erwar­ten. Und dass wir erleben, wie ein heller Glanz in unser Dunkel fällt, ein wirk­lich heller, über­ir­disch schöner Glanz! Und dass wir davor nicht erschre­cken müssen!

Ihre Pfar­re­rin Chris­tiane Seresse